01.07.1949
….Wenig über ein Jahr „Ehe“, und ich war sechs Jahre auf Reisen mit wechselndem Aufenthalt. ……Diese 6 Jahre waren randvoll von Erleben schönster und hässlichster Dinge. …..Ich habe, als die Russen uns zurückdrängten, für einen Menschen, den ich sehr liebte, mein Leben gewagt. In Estland war es. Es war umsonst.
….Einmal kam mir ein Mann meines Alters näher. Das war 1939, als ich in Münster eingezogen wurde. Lutz Lennartz wurde mir sehr viel. …. Eigentlich hatte er viel mit Dir gemeinsam. Unser Lutz wurde nach ihm genannt. Das hatte er sich erbeten, aber nicht mehr erlebt. Er fiel als Fallschirmjäger auf Kreta. Seine letzte Karte erreichte uns in Königsberg. Lotte war 14 Tage vor dem Einsatz dort. „Und die Sonne Homers, sie lächelt auch uns“ schrieb er. Am nächsten Tag lag er mit sechs anderen im Massengrab.
29.04.1951
…Die Menschheit wird immer ärmer, immer flacher. Man sieht dies u.a. daran, mit wie wenig Worten heute die Menschen auskommen. Der Wortschatz ist so gering, die Stammelsprache nimmt so überhand - PRIAM = Presse-Informations-Amt; BIM = Bundesinnenministerium, BAM = Bundesarbeitsministerium u.ä.m., dass es einen Hund jammern könnte. Man braucht zum Vergleich nur mal ganz kurz in Schiller, Goethe oder Shakespeare zu schauen, welche Fülle der Sprache, welche Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten (ohne schwülstig zu werden).
Sehr stark zur Geschmacksverbildung und -verflachung tragen die angelsächsischen Filme bei. Das Volk freut sich, wenn es möglich oft knallt, wenn sich die Leichen türmen, wenn alle möglichen Viechereien angewandt werden. Da gehen sie hin.
09.04.1952
…Ich entsinne mich sehr genau eines Wegweisers an einer viel befahrenen Kreuzung in Narwa, einer Grenzstadt zwischen Estland und Russland. Dort stand: Nach Petersburg 120 km, nach Köln-Mülheim 2.475 km.
03.06.1952
…Ich werde nie im Leben vergessen, wie ich nach dem Zusammenbruch in Räuberzivil, ohne Papiere, jedem Zugriff der Befreier ausgesetzt nach eigenhändiger Abmusterung durch Hamburg schlich und die verteufelte Mühe hatte, mich in mein Heimatgebiet durchzumogeln. Ich predige meinem Jungen so oft ich kann, dass alles Soldatenspielen eitel Unfug sei.
…Wenn man Deine Briefe liest, ist man versucht, jedem nur zu raten, ins gelobte Land zu ziehen. Dabei ist es nur Dein Fall, den günstig zu gestalten Du in der Hand hast.
06.01.1955
Damit Du der Heimat nicht zu sehr entfremdet wirst, füge ich ein Bildwerkchen über Köln bei. Allerdings ist das neue Rathaus noch nicht vertreten. Davon schicke ich Dir mal Bilder, wenn es nicht mehr teilweise Baustelle ist. Manche alte Stätte wirst Du nicht wiederfinden und -erkennen. Köln baut sich jetzt rasend schnell auf, um und aus.
10.12.1957
…Hoffentlich kommt jemand, der sich mehr und intensiver mit der Wiedervereinigung beschäftigt, über die ja seit vielen Jahren mehr geredet als in die Tat umgesetzt wird - Russische Befestigungsanlagen dürfte es kaum geben. Man hat an der Zonengrenze Niemandslandsstreifen geschaffen, aber Befestigungen sind das nicht. Die soll es in Ostpreußen geben, zur Ostsee hin besonders, wo auch die Abschussbasen der Russen für Raketen vorhanden sein sollen.....Im übrigen habe ich keine Kriegssorgen.
29.04.1961
..gestern holte Lotte beim Zoll das Untier ab, für das wir Dir sehr herzlich danken. Ein wirklich schönes, gelungenes Stück ist das. Seltsam der Stein auch, der sich so seifig-glasig anfühlt. Jetzt haben wir auch Eskimokunst vertreten.
05.06.1962
Wir haben ein unerquickliches Frühjahr hinter uns. Jetzt, Anfang Juni, gibt es in unserem Bereich noch Nachttemperaturen von 0 Grad. Über Tag steigt die Wärme langsam an. Aber alles ist um rund 6 bis 8 Wochen zurück. Wenn es nicht kalt war, regnete es. So was kann man reichlich leid bekommen. Noch kein einziges Mal haben wir in diesem Jahr auf dem Balkon Kaffee getrunken.
13.12.1963
Es ist schön, dass Du von Deinen jeweiligen Reisen immer ein Lebenszeichen von Dir gibst. Es ist gut zu wissen, dass es Dich gibt. Alfred, wo wir einst in Garath wühlten, da wächst jetzt eine Trabantenstadt von Düsseldorf aus der Erde. Ich kam die letzte Zeit dort vorbei, wenn ich zum Landtag nach Düsseldorf fuhr. Man meint, es läge eine Ewigkeit zwischen dieser Zeit und heute.
23.04.1966
Valerie fährt kommende Woche mit ihrer Firma zur Hannover-Messe. Der Panz macht sich sehr gut. Mit ihrem Freund hat sie vor einigen Wochen Schluss gemacht. Uns tat das leid, aber sie kam nicht zurecht; er war zu jung.
17.01.1967
…Im Übrigen macht man ja viel zu viel Kalaumes um Kennedy. Gewiss, sein Tod war tragisch, und durch diesen dummen Hund von Ruby ist auch noch der Legendenbildung Tür und Tor geöffnet. Aber hätten die Götter ihren Liebling Kennedy nicht so früh sterben lassen, er wäre jetzt genau so auf dem absteigenden Ast wie Johnson, denn schon zu Kennedys Zeit waren die Amerikaner zu tief in ihr Vietnamabenteuer verstrickt, als dass sie ohne Verlust an Gesicht hätten da herauskommen können.
23. 11.1968
…Du traust dem Frieden in Europa nicht. Weswegen Du uns unter Umständen Asyl zu gewähren bereit bist. Aber so schlimm ist das gar nicht. Im Gegenteil; hast Du nicht schon mal den Gedanken erwogen, Dein „Alter“ in Europa zu verbringen?
21.08.1969
.dann fuhren Lotte, Lutz und ich in die Schweiz. Mir ging es darum, einmal einen gewissen Überblick über dieses Land zu bekommen, das ich nicht durch eigenes Erleben kannte; zum Anderen wollte ich meinen Lieblings-Poeten, R.M. Rilke, und meinen Lieblings-Romancier, Th. Mann, die beide ihre letzten Lebensjahre in der Schweiz verbracht haben und dort begraben liegen, besuchen.
17.05.1970
Ich packe diesen Brief in ein Heft "Köln", Vierteljahresschrift für die Freunde Kölns, das sich in hohem Maße den Kölner Ausgrabungen widmet. Was da zur Zeit um den Dom herum gefunden wird. Man legt dort Tiefgaragen an - was gefunden wird, kann nur aufgenommen, registriert und abgeräumt werden - übertrifft alle Erwartungen. Für das Poblicius-Grabmahl hat man bereits im Neubau des Römisch-Germanischen Museums einen Platz freigelassen.
06.06.1972
Valerie kommt in ihrer Ehe noch gut zurecht. Derzeit sind die beiden in Tunesien in Urlaub und haben uns ihren Wagen zum Aufbewahren da gelassen. Früher tat man das mit den Enkeln. Daran denkt man heute nicht.
08. 12.1974
…Am 17. Juli habe ich das Haus am Mauspfad verlassen und bin in eine geräumige Mietwohnung in Klettenberg gezogen. Die Verhältnisse waren unerträglich geworden. Der Mensch, mit dem ich 36 Jahre verheiratet war, hatte sich in den letzten Jahren so schrecklich charakterlich verändert, dass ich Grund zur Annahme habe, bei ihr ist ein Persönlichkeitswandel eingetreten.
03.07.1977
Mein jüngster Sohn Wolf ist nach kaum zweijähriger Muss-Ehe am 24. d.M. geschieden worden. Vielleicht sieht seine gute Mutter jetzt ein, was ihre Erziehung angerichtet hat, die sie hinter meinem Rücken an dem Knaben verbrochen hat. Mir tut nur das Kind leid, mein erstes und bisher einziges Enkelsöhnchen, das ich außer auf einem Foto noch nicht gesehen habe und auch wohl nie sehen werde. Das gehört alles zu dem Trümmerhaufen, den die Frau geschaffen hat. Ob so etwas jemals seine Abrechnung findet?
02.12.1980
…Die Menschen, die Generation die keinen Krieg gekannt haben, sind so überheblich geworden, dass ein Nasenstüber nur gut tun kann. Wir wissen ja, mit wie wenig man auskommen kann. D i e nicht. Für äußerst schädlich halte ich hier das leidige Geseiche der Presse, die so lange quatscht, bis wirklich etwas Negatives da ist. Sehr bedrückt mich auch die schreckliche Unfähigkeit der Führung in Italien, die bei dem Erdbeben so schändlich versagt hat....
…Dieser Tage fand ich meinen Stenografen-Ausweis aus dem Jahr 1935 mit Lichtbild. Was war ich da für ein anmutiger Knabe!
09. März 1982
…Wir werden zurzeit – und das hat ja seinen langen Vorlauf - ganz miserabel regiert.....Es mangelt an jeglicher Voraussicht, die doch die Hauptvoraussetzung dafür ist, ein guter Politiker zu sein. Dass es uns etwa schlecht ginge, kann man allenfalls einem erzählen, der seine Hose mit der Kneifzange zumacht. Aber die miesen Gazetten zerquatschen das immer wieder.....
Plötzlich bringen die Scheißblätter den Slogan "Angst" auf. Wovor denn? Ich hatte einmal in meinem leben Angst: Da geriet ich auf dem Vormarsch ins Baltikum gen Leningrad in eine Stalinorgelsalve und wusste nicht mehr, wo unten und oben war. Seitdem lebe ich ohne Furcht. Möge es auch in meiner letzten Stunde so sein.
...Aber jetzt regt sich ja auch in amerikanischen Kreisen aller Art einiges gegen den Schmierenkomödianten im Weißen Haus. Wie ist es möglich, dass ein so riesiges Land mit so vielen Menschen so miese Präsidenten bekommt?....
29.11.1984
Du beginnst mit einem historischen Rückblick auf Deine Besuche im alten Europa. Stimmt, da hat sich seitdem vieles verändert, selbst für mich, der ich ja in diesen Veränderungen stehe, wie nicht viele. Ich meine die Plätze, wo ich gebraucht werde. Ich habe mir schon immer nichts aus dieser Welt gemacht, daher auch mein Desinteresse an Reisen, sondern ich ließ die Welt zu mir kommen und vereinnahmte sie nach meinem Gusto.